Zugegeben, wie in Spanien fühlen wir uns nicht gerade, während wir uns bei Wind und Starkregen unseren Weg entlang der Langstrasse in Richtung Kino Riff Raff bahnen. Leicht irritiert bleiben wir vor dem Kino stehen und blicken durch die grossen Glasscheiben, da, wo das RiffRaff Bistro einmal war, ins Innere. Bistromässig wirkts immer noch, jedoch auch ein bisschen leer. Doch auf den zweiten Blick erkennen wir, dass wir hier richtig sind. Mit grossen Lettern steht es auf der Glasscheibe geschrieben: WERMUT.
Als wir eintreten entdecken wir die aufgereihten Wermutflaschen und die zurückhaltend aber einheitlich gedeckten Tischchen. Minimalismus!, lautet mein erstes Urteil. Doch es ist vielmehr eine Konzentration aufs Produkt, wie mir André Urban im persönlichen Gespräch erklärt.
Mit seinem Team, bestehend aus Kaspar Fenkart (Central Bar, Sport Bar), Marius Frehner (Restaurant & Bar Gamper) und David Heimer, der bereits im Josef und in seiner Heimat Schweden gekocht hat, verbindet André Urban eine tiefe Liebe zum Wermut. Für die nicht so Spirituosenversierten hier eine kurze Erklärung: Wermut ist ein Aperitifgetränk auf Weinbasis mit Kräutern und hat ungefähr 16 Volumenprozent, also ein kleines bisschen mehr als ein Glas Wein. Und es ist, wie Urban findet, einfach ein cooles und lässiges Aperitifgetränk, welches eine lange Geschichte hat und nun langsam aber sicher aus der Versenkung auftaucht. Wermut, das sei mehr als Martini, mehr als ein „In-Getränk“, das sei Tradition. Wenn Urban von der Stimmung erzählt, die beim gemeinsamen Wermut trinken und Tapas essen in Vermuterías in Spanien entsteht, beginnen seine Augen zu leuchten. Man merkt ihm die Liebe zum Produkt an.
Getrieben von der Liebe zum Produkt
Die Liebe zum Produkt ist das Konzept, welches sich durch die Getränke- und Speisekarte des WERMUT zieht. Zum einen sind da die beiden in der Schweiz produzierten Wermutsorten, ein roter und ein weisser. Der rote sei lieblicher und daher bei Frauen sehr beliebt, sagt Urban. Der weisse ist herber, bitterer. Mir schmecken beide, der rote ist mir gar ein Ticken zu süss, doch meine Kollegin findet ihn vorzüglich, weshalb ich überzeugt bin, dass Urban mit seiner Einschätzung richtig liegt. Aber die Bar beinhaltet mehr als den hauseigenen Wermut, Negroni oder Dry Martini. Hier werden auch Gin, Rum oder Whiskey ausgeschenkt, wie «in einer normalen Bar» eben. Es kommen also alle auf ihre Kosten – auch Weinliebhabende. Die Weine sind liebevoll ausgewählt, von Winzern, die die Gastgeber persönlich kennen, oder es sind ganz einfach Weine, die den Gastgebern schmecken.
Sharing is caring
Liebevoll ausgewählt sind auch die Gerichte, welche in der 9-Quadratmeter-Küche produziert werden. Das Konzept mahnt an die Tapaskultur der besagten Vermuterías, wobei die Gerichte im WERMUT jedoch guten Gewissens als Mahlzeit bezeichnet werden können. So findet man auf der sehr übersichtlichen Karte vier Apérogerichte, zwei kleine und zwei grosse Teller, einen Dessert – Brotpudding – und Käse. Für manch einen vielleicht zu wenig, doch für uns keine lange Qual der Wahl. Die Teller sind auch in diesem neuen Lokal allesamt dem mittlerweile gang und gäben Sharing-Konzept verschrieben, was wir uns nicht zweimal sagen lassen: Meine Kollegin und ich bestellen also die beiden kleinen sowie einen grossen Teller. Das wäre einmal das Onsen Ei, das Tartar vom Hirsch und die Spezialität, das Coq au vin mit Wermut.
Gott sei Dank tanze ich weder vegetarisch noch vegan durch die Welt. Sonst wäre die Auswahl an beissfesten Gerichten eher mager und ich würde mich dann wohl oder übel mit dem gerösteten Wurzelgemüse und einer eigenen Flasche Wermut begnügen.
Das WERMUT hat zu mehr Mut als nur Wermut
Der aufmerksame Benjamin serviert sehr fix den ersten kleinen, kalten Teller: Ein Tatar vom Hirsch, begleitet von warmen (!) Kartoffelchips, die etwas dicker geschnitten sind und damit einen grossen Pluspunkt einheimsen. Das geschmacksintensive Wild-Tatar harmoniert hervorragend mit dem geräucherten Geschmack der Mayo, den Kapern und den Pickles. Nach einem derart schmackhaften Aufschlag schlummert bei mir immer leicht die Angst, von den nachfolgenden Gängen enttäuscht zu werden. Dem sollte aber nicht so sein.
Der zweite kleine Teller, den sich meine Kollegin und ich teilen, ist das Onsen Ei. Zusammen mit dem darüber gehobelten Trüffel, der Beurre blanc, dem Wirz und den Brösmeli (oder Crumbles) zerschmilzt es zu einer knusprig-cremig-herzhaften Einheit. Die Liebe zum Produkt (im WERMUT kommen nur Bio-Eier auf den Tisch) ist auch hier deutlich spürbar: Das Ei steht nicht nur optisch sondern auch geschmacklich im Mittelpunkt. Wir verschlingen den Teller im Nu, beherrschen uns, ihn nicht auszulecken und freuen uns bei einem zweiten Glas Wermut auf den Star des Abends, das Coq au Vin mit Wermut.
Vermutería in Zürich? Wir wollen mehr davon!
Ich bin ja grundsätzlich ein Fan von langsam geschmortem Fleisch und als ich das Coq au vin auf der Karte entdeckte, setzte mein Herz zu einem freudigen Hüpfer an. Aber wie das so ist, wenn man Liebhaberin eines Gerichtes ist, hat man auch dermassen viele Vergleichsmöglichkeiten, dass die Erwartungen ins Unendliche steigen. Entsprechend nervös war ich, das Coq-au-vin à la Wermut zu probieren. Ehrfürchtig und zögerlich schabe ich also mit der Gabel das erste Bisschen Fleisch vom Knochen, welches sich herrlich davon löst. Es ist wunderbar zart und geschmacksvoll und zugleich saftig, die herbwürzige Weinnote erinnert an das stundenlang geköchelte Rindsvoressen meiner Mutter und das Gemüse ist für meinen Geschmack perfekt gekocht mit einem guten Biss.
Wir beobachten Urban, wie er grinsend hinter der Bar steht und sich mit Freunden unterhält. Das von ihm so geliebte Ambiente der Vermuterías de España hat sich nach ein paar Gläsern Wermut im neueröffneten Restaurant ausgebreitet und den noch relativ sterilen Raum, in dem man sich anfangs noch gedämpft unterhalten hatte, mit der ausgelassen lauten, fröhlich gemütlichen Wermut-Stimmung erfüllt.
Liebes WERMUT-Team, das war doch ein gelungener Start. Auch wenn alles noch ein bisschen blutt daherkommt, ihr macht es mit eurer Herzlichkeit, dem hervorragenden Essen und dem feinen Wermut wieder wett. Offizielles Opening ist übrigens am 19. Januar, essen und trinken kann man aber jetzt schon. Ab 14 Uhr haben sie geöffnet, ab 15 Uhr kann man von der Apéro-Karte bestellen, ab 18 Uhr von der grossen Karte. Der eigens produzierte Wermut gibt es für 26 Franken die Flasche auch für Zuhause.