Anfang Februar haben wir das Artisan in Zürich getestet – wie immer ganz anonym. Vis-à-vis vom Bahnhof Wipkingen gelegen, bietet sich das Restaurant gut an, um nach einem Arbeitstag mit Freunden zusammenzukommen. Das kürzlich eröffnete Lokal hat gute kulinarische Ideen, tat sich an diesem Abend allerdings schwer. Folgend der Bericht über einen Abend mit kulinarischen Aufs und Abs und einem ernüchternden Fazit.
Durstige Gäste bestellen mehr Drinks*
Die Speisekarte des Artisans begeistert mit ausgefallenen Kreationen. „Endlich mal wieder ein kreatives Küchenteam,“ dachte ich mir. Als Vorspeise haben wir uns für die hausgemachten Kichererbsen-Amaranth-Falafel mit geräuchertem Auberginen-Mousse, Soja-Joghurt und Brunnenkresse entschieden.
Wir erwarteten eine Geschmacksexplosion.
Amaranth-Falafel auf Auberginenmousse. Foto: Lunchgate
Bekommen haben wir in altem Fett frittierte Falafel. Nach zwei, drei Bissen bildete sich zwischen Gaumen und Zunge eine rutschig-klebrige Ölschicht. Einzig das geräucherte Auberginen-Mousse konnte überzeugen.
Ernüchtert vom ersten Gang, bestellten wir den Hauseistee und die Hauslimonade. Der Hauseistee schmeckte gut – er war nicht zu süss und selbstgemacht. Kennst Du das schwache Prickeln im Mund, wenn das Sprudelwasser abgestanden ist, aber noch nicht den letzten Sprudel verloren hat? Genau so schmeckte die Limonade.
Der fade Hauseistee und die abgestandene Hauslimonade. Foto: Lunchgate
Als Hauptspeise bestellte mein Kollege einen Kalbsschulterpie mit Pilzen, Bière Blanche, Thymian, Mushroom-Ketchup und selbstgemachten Pommes Frites. Für mich gab’s einen gerösteten Blumenkohl mit Bulgur, Hanfsamen-Dukkah, Granatapfel und Pfefferminzöl.
Wir freuten uns besonders auf diese Hauptspeisen, da uns die Vorspeise leider nicht überzeugt hat.
Der Kalbsschulterpie an Mushroom-Ketchup mit Pommes Frites. Foto: Lunchgate
Gastronomen gehen bekanntlich grosszügig mit dem Salz um, denn durstige Gästen bestellen mehr Drinks. Und salzig war es – so salzig, dass ich meinen Blumenkohl nicht geniessen konnte und mein Kollege seine Pommes am Holzbrett abstreichen musste. Die Kalbsschulterpie schmeckte gut – das Fleisch war zart und der Blätterteig kross gebacken.
Einziger Lichtblick des Abends war das Dessert – oder genauer gesagt das halbe Dessert. Mein Apfelcrumble mit Vanilleeis war ein Traum. Das Apfelkompott verlieh Säure, das Eis Süsse und der Crumble war genau richtig zubereitet; nicht zu hart, nicht zu weich.
Apfelcrumble mit Vanille-Glacé. Foto: Lunchgate
Der Bread & Butter Pudding mit Birnen und Tonkabohnen-Rumeis allerdings war ein Alptraum: Normalerweise zieht das Brot beim Bread & Butter Pudding die Milch-Rahm-Mischung wie ein Schwamm auf. Sticht man mit dem Löffel hinein, tritt diese Masse wieder hervor. Der Bread & Butter Pudding im Artisan war jedoch staubtrocken. Die Tonkabohnen schmeckten wie altes Schoko-Müsli und die Birnen auf dem Brot waren in einer undefinierbaren Gewürzmischung getränkt.
* Das Restaurant hat uns mitgeteilt, dass sie grundsätzlich vorwiegend gute Rückmeldungen von ihren Gästen erhalten haben. Dennoch nehmen Sie unsere Kritik sehr ernst. Sie wollen in Zukunft mehr Anstrengungen unternehmen, die Qualität ihres Essen zu kontrollieren. Denn sie wollen, dem Gast ein einmaliges Erlebnis in ihrem Restaurant bieten.
Viel zu trocken: Bread & Butter Pudding mit Birnen und Tonkabohnen-Rumglacé. Foto: Lunchgate
Botox-Lippe trifft auf Man-Bun
Das Artisan hat sich dem Urban Gardening verschrieben. Grüne Pflanzen mit viel Blättern und ohne Blüten hängen von grossen Gitterkuben von der Decke. Glühbirnen an langen Kabeln tun es ihnen gleich. An jenem Abend lachten die Leute ausgelassen. Getrunken wurde viel.
Wir wurden berieselt mit verschiedenen Klängen – von Lounge-Musik über Jazz bis hin zu hipper Bongo-Musik. Das Lokal ist länglich. Drei Reihen mit grösseren und kleineren Holztischen unterteilen den Raum der Länge nach. In der Ecke hinten rechts spielten Kinder. Im Artisan treffen Botox-Lippen auf Man-Buns und gestresste Eltern auf willkommene Spielecken. Das Ambiente trifft den Nerv der Wipkinger-Boheme.
Dschungel-Feeling mit Grossstadt-Flair im Artisan. Foto: Lunchgate
Freundliche Bedienung, aber zu hoher Preis
Die Bedienung war einwandfrei. Mit einem freundlichen Lächeln glitt unser Kellner zwischen den Tischen durch den Raum. Er las den Gästen die Wünsche förmlich von den Augen ab und brachte ein Getränk nach dem anderen.
Preislich reiht sich das Restaurant für Zürcher Verhältnisse im mittleren Segment ein. Für die Falafel-Vorspeise haben wir 16 Franken, den Kalbsschulterpie 29 Franken, den Blumenkohl 28 Franken und für die Desserts jeweils 13 Franken bezahlt. Für das, was uns geboten wurde haben wir jedoch eindeutig zu viel Geld liegengelassen.
Der INSIDER empfiehlt
Obwohl das Ambiente und die Bedienung überzeugt haben, ist das Restaurant beim Wichtigsten – dem Essen – an diesem Abend durchgefallen. Sowohl die in altem Fett frittierten Falafel, als auch die abgestandenen Limonade, die versalzenen Hauptgänge und das staubtrockene Dessert machten jeden Gang nahezu ungeniessbar.
Das Artisan ist noch relativ jung und hat gute Ideen. An einem anderen Abend wäre die Leistung sicherlich besser gewesen – schliesslich kann jeder einmal einen schlechten Tag haben, auch ein Restaurant.
Die Portionen sehen auch super klein aus, oder täuscht das? (Und sind das 3 oder 4 Pommes? ;))