The rise and fall of the Avocado
Der Hype begann vor ein paar Jahren, als die exotische Frucht von innovativen Foodies lautstark zum neuen Superfood auserkoren wurde. Plötzlich stand auf gefühlt jeder Karte im Kreis 4 und 5 irgendein (zugegebenermassen ziemlich leckeres) Avocadogericht! Und dann? Dann ging’s bergab – und zwar in Lichtgeschwindigkeit. Die Stimmen jener, die sich um den ökologischen Fussabdruck des neuen Superfoods sorgten, wurden immer lauter. Avo-Lovers, die sich ihre super gesunden Poké Bowls mit Avocado zusammenstellten, wurden immer ruhiger. Und vor allem Veganer trauen sich kaum noch, im Supermarkt eine Avocado in die Hand zu nehmen.
Man könnte auch sagen: Wäre die Avocado eine Firma, hätte sie einen irreversiblen Imageschaden erlitten. Hier ist dennoch der Versuch, alles in Perspektive zu setzen.
Superfood mit Super-Durst?
Das erste Problemchen mit der mexikanischen Beere beginnen bereits bei der Produktion. Avocado-Bäume benötigen bekanntlich ja viel Wasser, um zu gedeihen. Genauer gesagt, gehen für ein Kilogramm Avocados satte 1000 Liter Wasser drauf. Damit ihr euch das genauer vorstellen könnt: Je nach Sorte werden für drei bis fünf Avocados etwa sechs volle Badewannen benutzt. Das hört sich zunächst nach viel an.
Im Vergleich zum Wasserverbrauch pro Kilogramm anderer Lebensmittel ist die Avocado jedoch längst nicht Spitzenreiter. Hier eine gekürzte und interaktive Übersicht von «The Guardian»:
- 15’415 Liter
- 10’412 Liter
- 5’988 Liter
- 5’553 Liter
- 1’608 Liter
- 933 Liter
- 790 Liter
- 287 Liter
- 237 Liter
- 214 Liter
Rindfleisch
Schaffleisch
Schweinefleisch
Butter
Brot
Äpfel
Bananen
Kartoffeln
Kohl
Tomaten
Ein Vergleich von «warenvergleich.de» hat sogar noch Kakao und Röstkaffee mit einbezogen, welche auf sagenhafte 27’000 Liter und 21’000 Liter pro Kilogramm kommen.
Ihr seht also: Avocados verbrauchen auf den ersten Blick viel Wasser, haben aber mit anderen Lebensmitteln verglichen gar keinen super grossen Wasserfussabdruck. Wenn man also dem weltweiten Wasserverbrauch entgegensteuern möchte, fängt man besser bei Kaffee, Schoggi (?) und Fleisch an.
Die Avocado als diebische Elster
So viel also zum Wasserverbrauch – Problem erledigt? Absolut nicht. Die Avocado ist nämlich in Gebieten heimisch, die sowieso relativ wasserarm sind. In Chile ist die Situation besonders prekär. Die Wasserversorgung ist dort privatisiert, Wasser ist also kein Recht, sondern eine Ware. Das spielt natürlich den Avocado-Plantagenbesitzern in die Hände, die der Bevölkerung so dringend benötigtes Wasser wegnehmen. Das Resultat sind ausgetrocknete Flussbetten und Notversorgungen für Familien per Lastwagen.
Die Avocado stiehlt der Bevölkerung also indirekt Wasser und wir unterstützen sie dabei. Laut einem SRF-Bericht ist Chile nämlich gemeinsam mit Peru der Hauptexporteur von in der Schweiz verkauften Avocados.
Doch unser Genusserlebnis wird leider nicht nur hier auf dem Rücken anderer Menschen ausgetragen. Was oftmals vergessen geht: Auch die Produktion von Tomaten, Gurken oder Orangen führt dazu, dass Menschen ein Leben unter miesen Bedingungen führen – ohne feste Bleibe, ohne Papiere und unter ständigem Druck mafiöser Organisationen. Reportagen wie diese vom SRF bieten eindrückliche Einblicke in das Leben von europäischen Plantagenarbeitern.
Eine Frucht auf Luxusreisen
Wäre die Avocado ein Mensch, würde sie wahrscheinlich in glamouröser Kim-Kardashian-Manier reisen. Mit klimatisierter Privatyacht auf der schnellsten Route und mit viel Gepäck. Aber von vorne: Die meisten Avocados werden mittels Container-Verfrachtung über die halbe Welt verschifft. Diejenigen aus Spanien werden auch oft eingeflogen. Euer CO2-Alarm meldet sich wahrscheinlich bereits hier. Weil Avocados aber sehr druck- und temperaturempfindlich sind, werden sie nur bei komfortablen sechs Grad und mit viel Polstermaterial (hallo, Abfall!) verschifft sowie nach der Ankunft in einer Reifekammer gelagert – noch mehr CO2. Laut dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit liegt der CO2-Ausstoss eines Kilo Avocados bei 846 Gramm. Das heisst: Gleich wie jener von Bier (900 g) und tiefer als jene von Zuchtlachs (11,9 kg), Butter (23,8 kg) und Lamm (39,2 kg).
Es müsse aber auch hier differenziert werden. Das sagt Manuel Klarmann, der CEO des in der ETH entstandenen Projekts Eaternity, welches für Unternehmen und Gastrobetriebe die Umweltbilanz von einzelnen Lebensmitteln berechnet. Er erklärt in der Aargauer Zeitung, dass Avocados regelrechte Kalorienbomben seien und so der etwas höhere CO2-Ausstoss gerechtfertigt sei. Dass also beispielsweise Tomaten nur den halben Co2-Ausstoss einer Avocado verzeichnen ist zwar auf den ersten Blick super, sie enthalten dafür aber auch kaum Kalorien sowie Fett und wir sind noch hungrig. Macht Sinn!
Was das nun konkret heisst
Was sagen diese tausend Zahlen und unzähligen Studien nun aber aus? Avocados sind wider Erwarten gar nicht so unökologisch. Das zeigt sich im Vergleich zu anderen Früchten und Lebensmitteln. Beispielsweise ist der Wasserverbrauch einer Produktion von Kaffee oder tierischen Produkten extrem viel schlimmer und nicht vergleichbar. Und auch der etwas höhere CO2-Ausstoss ist in Relation zur Energielieferung immer noch gerechtfertigt. Zudem ist die Avocado auch hier noch lange nicht Spitzenreiter, denn andere Lebensmittel wie beispielsweise Butter und Lamm verzeichnen sehr viel höhere CO2-Werte. Aus rein ökologischer Sicht sollte man also definitiv bei anderen Produkten ansetzen, um etwas für den Planeten zu tun. Die Avocado ist zwar nicht perfekt, wird aber um einiges schlechter geredet, als was sie tatsächlich ist.
Und doch hat das Avocado-Business – wie auch andere Früchte- und Gemüseproduktionen – zweifellos Dreck am Stecken. Wie bei allem, macht auch hier die Menge das Gift. Im momentanen Avocado-Trend sehen viele Unternehmer grosse Chancen, die gerne genutzt werden. Das Ziel ist dabei immer, so viele Stückzahlen wie möglich zu geringen Kosten zu produzieren. Und die Verlierer sind dabei Arbeiter, Lokalbevölkerung und Umwelt.
Was können wir tun?
Als Konsumenten ist die Quittung unser Stimmzettel, denn das Angebot richtet sich nach der Nachfrage. Darum sind hier einige Tipps für Avocado-Alternativen. Natürlich kann eine Avocado nicht einfach ersetzt werden, jedoch gibt es einige heimische Lebensmittel, die einzelne Eigenschaften super abdecken können und mindestens so lecker sind. Dabei aber aufpassen, dass sie auch wirklich aus der Region stammen.
Walnüsse und Kürbiskerne: Sie enthalten ebenso ungesättigte Fette und sind total lecker. Kurzerhand mit Randen oder Rüebli zu einem Dip verarbeitet, steht dem morgendlichen Brotaufstrich nichts mehr im Weg.
Spinat: Anstelle der Avocado könnt ihr auch Spinat in euren Smoothie geben. Dieser enthält ein Vielfaches mehr an Eisen und macht den Smoothie ebenfalls grün und sämig.
Erbsen: Das Hiltl macht‘s vor: „Guacamole“ kann auch ohne Avocado zubereitet werden. Und zwar mit Erbsen. Definitiv ein geschmacklicher Trumpf! Fun Fact: Seinem Pioniergeist treu geblieben, verbannte das Hiltl Avocados kürzlich ganz aus ihrem Angebot.
Heidelbeeren: Heidelbeeren werden seit einiger Zeit als heimischen Superfood gehandelt. Sie liefern nämlich uns unzählige Antioxidantien, Vitamine und Mineralstoffe. Der perfekte Snack!
Kürbis: Orange is the new green! Ein paar gebackene Kürbis-Würfel über den Salat verteilt und fertig ist ein nahrhafter Salat.
Und was, wenn es unbedingt eine Avocado sein muss?
Ihr wisst ja jetzt, dass es vor allem wichtig ist, dass der Avocado-Boom abflacht. Natürlich dürft ihr auch weiterhin hin und wieder eine Avocado geniessen! Doch auch hier könnt ihr einiges beachten:
- Kauft keine Avocados aus Chile oder Mexiko. So helft ihr, gegen die prekäre Wassermangel-Situation und die illegale Abholzung der Wälder vorzugehen.
- Kauft wenn möglich Avocados aus Israel oder Spanien. Nur diese tragen das EU-Biosiegel und gewährleisten eine faire Produktion.
- Schaut, ob ihr Avocados findet, die mit dem Schiff zu uns transportiert wurden.
- Fragt in einem Restaurant nach, wenn die Hintergründe der Produktion nicht klar sind und weist sie auf das Problem hin. Sollte sich ein Restaurant dazu entscheiden, keine oder fairer produzierte Avocados anzubieten, vervielfacht sich der Stimmzettel-Effekt um so einiges.
Übrigens lohnt sich ein Selbstanbau von Avocados leider nicht. Der Baum benötigt einerseits ein ganz anderes Klima und würde andererseits sowieso erst nach zehn Jahren Früchte abwerfen. Spass macht es aber allemal, den Kern zu befeuchten und dann einzutopfen. Schon bald habt ihr ein kleines Avocado-Pflänzchen!
Lasst uns in den Kommentaren oder via insider@lunchgate.com unbedingt wissen, ob euch die Alternativen schmecken und mit welchen Lebensmitteln ihr die Avocado sonst noch ersetzt.
Danke für die differenzierte Analyse, sehr informativ!
Hallo Marcel
Vielen lieben Dank für dein Feedback. Sehr gern geschehen!
Liebe Grüsse
Selina
Guter Artikel, merci!
Hab mir nur kurz überlegt, dass man auch die Mengen im Auge halten sollte. Für ein Entrecôte gehen schon 200-300g drauf, durchaus vergleichbar mit 1x Avocado.
Für 1x Café gehen 10g Kaffeepulver drauf – da treten dann die Wassermenge etwas in den Hintergrund. Auch auf meine Schnitte Brot streiche ich auch nicht ein Pfund Butter 😉
Aber insgesamt gut zu wissen.
Cheers!
Hallo Jérôme
Danke für deine Rückmeldung. Das freut mich sehr!
Und: Sehr guter Punkt, den du da vorbringst! Das hat mich jetzt nicht losgelassen, sodass ich kurz gegoogelt habe, wie es um den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch in der Schweiz bzw. in Deutschland steht.
Avocado (DE): 1,13 Kilogramm
Butter: 5,4 Kilogramm
Kaffee: 5 Kilogramm
Bin auch überrascht, dass der Verbrauch pro Person trotz kleinen Mengen bei Butter und Kaffee deutlich höher ist.
Liebe Grüsse 🙂
Selina
Hallo Selina
Weisst du zufällig noch wo dass su diese Infos gefunden hast? Ich schreibe Zurzeit eine Arbeit über Avocados und würde diesen Vergleich wahnsinnig gerne mit einfliessen lassen. Allerding brauche ich dafür eine konkrete Quelle.