Wenn eine Quartierbeiz oder ein etablierter Familientrieb von einer internationalen Fast-Food-Kette vertrieben wird, schmerzt das. Ist mal das Gegenteil der Fall, freut es uns darum umso mehr. So beispielsweise, als vor gut einem halben Jahr das Enzian Restaurant in die ehemalige McDonald’s-Filiale im Zürcher Niederdorf eingezogen ist.
Schluss mit fettiger, austauschbarer Küche: Das Enzian serviert klassische Schweizer Gerichte sowie saisonale Köstlichkeiten und legt dabei besonderen Wert auf frische und regionale Zutaten. Vieles kommt sogar direkt aus dem stiftungseigenem Garten und der Hausbäckerei. Tönt ziemlich vielversprechend, oder? Was genau dahinter steckt und wie das Ganze schmeckt, haben wir jetzt mit einem Abendessen getestet.
Regional, saisonal, sozial!
Dass die Gerichte hier saisonal, regional, und wenn möglich, biologisch sind, wundert uns nicht. Dies wird bei einer Neueröffnung ja schon fast vorausgesetzt. Und doch ist dieses Bewusstsein längst noch nicht Standard in der Zürcher Gastrowelt. Deshalb freut es uns, dass das Enzian sich von Anfang an klar mit diesen Werten positionierte.
Doch das neue Restaurant an der Niederdorfstrasse hat noch eine zusätzliche Qualität, die es auszeichnet. Betrieben wird es nämlich von der gleichnamigen Stiftung, die Ausbildungsplätze für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder besonderen Bedürfnissen anbietet. Dieser soziale Touch ist auch im Lokal spürbar. Das ganze Servicepersonal ist äusserst gastfreundlich und umsorgt einem von der ersten Sekunde an. Auch mit der Einrichtung wird der soziale Aspekt aufgenommen: An den hohen, weissen Wänden hängen Fotografien, die die bunte Vielfalt der Menschen und Orte im Niederdörfli zeigen.
So geht Gastfreundschaft
Für unser gemeinsames Znacht werden meine Kollegin und ich von Saskia, unserer sehr zuvorkommenden Kellnerin, auf die Empore geführt, wo ein hübsches Zweiertischchen auf uns wartet. Von hier aus können wir den ganzen Eingangsbereich des Lokals überschauen. Heute bestellen wir ein lokal gebrautes Amboss Amber Bier, das hier sogar frisch vom Zapfhahn kommt.
Bei der Menüauswahl tun wir uns dann etwas schwerer, da uns gleich mehrere Gerichte ansprechen. Auch als Vegetarierinnen haben wir hier eine grosse Auswahl, und ich werde hinsichtlich meiner Allergien fachkundig von der Kellnerin beraten. Ich hatte diese im Vorfeld via E-Mail mitgeteilt, und fast umgehend eine fürsorgliche Antwort bekommen, was für mich auch immer ein gutes Zeichen ist.
Schliesslich entscheiden wir uns für den gebratenen Ziegenkäse auf grünem Salat zur Vorspeise, die wir uns teilen wollen. Als Hauptgang wähle ich den Jäger ohne Glück, der, weil fleischlos, mich umso glücklicher macht. Und meine Kollegin entscheidet sich für den Inside-Out Vegiburger mit Pommes Frites als Beilage. Mittlerweile werden im unteren Bereich zweimal traditionell Bratwurst mit Rösti serviert. Ein schlichtes Gericht, das hier allem Anschein nach auf den Punkt gebracht wird. Und die goldgelb knusprige Rösti sieht total verführerisch aus…
Einfach aber geschmackvoll
Wir müssen nicht lange auf die Vorspeise warten – allgemein ist der Service hier extrem effizient und gleichzeitig entspannt. Für den gemischten Blattsalat bekommen wir drei verschiedene hausgemachte Salatsaucen in rustikalen Glasflaschen. Sie sehen alle fein aus, und so entscheiden wir uns für das Balsamico- sowie das vegane Limetten-Senf-Dressing. Das Zweite ist unser sofortiger Favorit. Und auch der mit schwarzem Pfeffer und Honig verfeinerte warme Ziegenkäse trifft voll ins Schwarze.
Glaub mir, so einfach wie es auch tönt: Warmer Ziegenkäse mit Salat wird leider bei weitem nicht immer so geschmacklich vollendet serviert wie heute Abend. Dementsprechend geht es auch nicht lange und unser Teller ist blitzblank leergeputzt. Einziger Wermutstropfen: Ich bin ein kleines Salatmonster und hätte drum locker die doppelte Portion davon essen können.
Glückliche Vegi-Gaumen
Dann geht es weiter mit den Hauptspeisen. Der Vegiburger von der Klassiker-Karte kommt überraschend unkonventionell daher. Jetzt wird auch klar, was mit dem Namen gemeint war. Vom Brot gibts nur eine Scheibe, dafür oben und unten je ein Zucchettitätschli. Verfeinert wird der aufgespiesste Burger mit einer würzigen Kräuter-Sauerrahmsauce und knackigem Eisbergsalat.
Auch die Pommes dazu wurden grosszügig geschöpft und sie überzeugen uns beide mit ihrem Biss und Geschmack. Wie frisch frittierte Pommes eben sein sollen. Die neu interpretierte Optik des Burgers macht übrigens auch die sonst so heiss diskutierte Frage nach Besteck oder Händen überflüssig – und meine Kollegin greift (wohl oder übel) zu Messer und Gabel.
Ich tue es ihr gleich, aber mit deutlich mehr Motivation, denn was auf dem Teller vor mir wartet sieht nach absolutem Wohlfühlessen aus, das dazu unheimlich gut riecht. Schon nach der ersten Gabel voll Rotkraut und dem ersten Bissen der hübschen Spätzli ist mir klar: Das ist alles hausgemacht. Und alles richtig gut.
Auch der Rosenkohl hat noch einen feinen Biss und die Marroni sind zum Glück nicht von einer übersüssen Glasur ummantelt, sondern haben ihren natürlichen, feinen Geschmack. Dass hier auf eine Pilzrahmsauce verzichtet wird, schadet dem Gericht überhaupt nicht: So kommen die wunderbaren Eierspätzli nämlich noch viel besser zur Geltung und jede Komponente auf dem Teller kann mit ihrem Eigengeschmack überzeugen.
Und obwohl ich oft notorisch zur Pfeffermühle oder dem Salzstreuer greife, bleiben diese heute unangerührt, denn mein Essen wurde schlichtweg perfekt abgeschmeckt.
Desserts aus der stiftungseigenen Konditorei
Nach dem feinen Essen sind wir eigentlich beide satt, doch ein kleines Dessert gehört bei einem Abend auswärts doch irgendwie dazu. Aufgrund meiner Kuhmilchallergie kann ich leider keine der Kuchen und Desserts wie etwa Tonkabohnen-Crème Brûlée probieren. Meine Alternative ist eine Kugel Cassis-Sorbet. Was wieder hübsch und simpel daherkommt, kann mich für einmal leider überhaupt nicht überzeugen.
Der Konsistenz fehlt jegliche Cremigkeit und der Geschmack erinnert mich eher an stark konzentrierten Cassis-Saft als frische Cassis-Beeren. Für meinen gelegentlichen Sorbet-Genuss werde ich wohl weiterhin zur Gelateria meines Vertrauens gehen müssen.
Keine gesalzenen Preise
Für den salzigen Gaumenschmaus komme ich aber in Zukunft definitiv öfters hierher. Geht auch ganz spontan, denn das Restaurant hat jeden Tag geöffnet, auch am Sonntag. Das Essen gepaart mit der besonderen Gastfreundschaft im Enzian machen einfach glücklich. Und auch der Preis stimmt: Für meinen Dreigänger mit Bier habe ich nicht mal 50 Franken gezahlt und war rundum zufrieden.