Punkt 19 Uhr wird die Tür zum aktuell gefragtesten Pop-up Zürichs für uns geöffnet: Darin erwartet uns eine gut organisierte, junge Crew im urbanen Dschungel-Ambiente. Der 19-jährige Restaurantleiter Noah Rechsteiner macht sich an der prominenten Küchentheke im hinteren Teil des Restaurants für den Abendservice bereit. Mit seinem Haarband und dem allgemein lässigen Look – seine Angestellten tragen ein lockeres T-Shirt unter der schwarzen Schürze – wird das Fine Dining Konzept aufgelockert und zugänglich gemacht. Ob auch die Umsetzung von Noahs klarem Nachhaltigkeitsgebot, also der Verwendung von rein lokalen, saisonalen und pflanzenbasierten Lebensmitteln, so gut klappt? Genau das wollen wir herausfinden, und setzen uns zu Tisch.
Ein Menü, ein Erlebnis
Ein Blick auf das Menü des 5-Gängers zeigt, dass dafür tatsächlich nur mit Lebensmitteln aus dem Raum Zürich gekocht werden könnte. Inklusive dem geschmorten Planted Pork, wofür der pflanzliche Fleischersatz des gleichnamigen ETH Start-ups verwendet wird, welcher aktuell in aller Munde ist. Die verschiedenen Gänge tragen Namen wie Purple Rain oder Grandmother’s Kitchen, die das Aussehen oder den Geschmack des jeweiligen Tellers beschreiben sollen. Eine witzige Idee, bei der man die jugendliche Kreativität von Noah spürt. Keine zwei Sekunden später bringt uns der charmante Chef de Service, Maximilian, auch schon den Gruss aus der Küche: Eine fluffige Focaccia mit würzigen Shitakepilzen und Kürbis, begleitet von einer Peterlimargarine und lustig prickelndem Peterlisalz zum fröhlichen Dippen. Dabei informiert er uns über die Getränkeauswahl, vorgesehen ist eine Begleitung mit alkoholfreien, selbstgemachten Säften oder fünf Naturweinen. Da es erst Mitte der Woche ist, entscheiden wir uns vernünftigerweise gegen die komplette Weinbegleitung, fragen aber nach je einem passenden Weiss- und einem Rotwein, die wir dann einfach etwas langsamer geniessen wollen.
Lokal und saisonal: Das fängt ja schon gut an
Neben dem grünen Gedanken, der sich wie ein Faden durch den Abend zieht, wurde hier auch das 1×1 von gutem Service verinnerlicht. Wir werden zuvorkommend, aber nicht aufdringlich bedient und auch Noah bringt einzelne Gerichte persönlich an den Tisch der Gäste. Zur winterlichen ersten Vorspeise präsentiert uns Maximilian den französischen Naturwein von Les Clos Perdus, ein Cuvée mit 65% der aromatischen Macabeu-Traube. Der Weisswein ist schön naturtrüb und schmeckt hervorragend: Der noch sehr junge 2018er überrascht mit einer feinen Würze und floralen Säure, hätte aber für einen als Naturwein angepriesenen Tropfen ruhig noch etwas mehr Wumms haben dürfen.
Dafür bekommt auch das Essen vor uns die nötige Aufmerksamkeit. Die sorgfältig drapierten getrockneten Pilze, fein sautierte Topinambur- und Pastinakenscheiben auf einem cremigen Selleriepüree im Kräuteröl-Spiegel bringen schon mal viel Umami ins Spiel. Genau darum liebe ich den Winter! Doch die hiesige Gemüsevielfalt in der kälteren Jahreszeit scheint tatsächlich noch nicht allen bekannt zu sein, was auch Noah bestätigt, als er uns den nächsten Gang – eine Sharing Plate – serviert. Mit dem geschmorten Chicorée (wieso habe ich das vorher noch nie probiert?), gepickelter gelben Rande und Kürbispüree wolle er abermals auf unser regionales Gemüsereichtum hinweisen, was eingeflogene Exoten und tierische Produkte ja eigentlich überflüssig mache. Eigentlich genau meine Worte; doch gerade dieses Gericht überzeugt uns leider im Vergleich zum ganzen Dinner am wenigstens, weil es irgendwie zu lieblich schmeckt und das gewisse Etwas fehlt.
Darf ich mich bitte reinlegen?
Dies ist schnell vergessen, als uns Noahs berühmtes, gefülltes Rotchabis-Blatt auf einem heissen Stein serviert wird, welcher hierzulande ja normalerweise für üppige Fleischstücke bestimmt ist. Ob intelligenter Seitenhieb oder einfach eine ästhetische Wärmequelle, dieser dritte Gang überzeugt uns auf voller Länge! Und die rote Symphonie, oder Purple Rain, ist fast schon eine kleine Zeremonie des bewussten Essens. Zuerst verschlingen wir den Inhalt der natürlich geformten Schale und wähnen uns dabei eingekuschelt unter dem Weihnachtsbaum, so unglaublich wohlig (hallo Umami!) schmeckt der leicht getrüffelte, leicht rauchig-erdige Rotchabis-Risotto. Dann dippen wir den Chabis in die erfrischende Chabis-Vinaigrette, und essen das knackige Gemüse ganz auf. Leaf to Root und Zero Waste vom Feinsten!
Der Wein hält sich übrigens ebenso an das vorgegebene Farbschema und passt auch sonst gut zum festlichen Gaumenschmaus, obwohl wir ihn aufgrund des aufregenden Risotto-Ganges zuerst beinahe links stehen gelassen hätten. Der rote Cuvée Väterchen Frost von HerterWein aus Winterthur ist eine echt runde Sache und bringt die Augen meiner Begleitung zu strahlen. Die leichte Rauchnote im Gaumen und die dunkle, elegante Frucht machen den Cuvée mit 60% Dinharder Pinot Noir Trauben zum süffigen Begleiter der zwei Hauptspeisen.
Wie aus Grossmutters Küche, nur halt vegan
Habe ich vorher gedanklich unter dem Christbaum gesessen, sitzen wir jetzt geschmacklich an Grandmother’s Kitchen: Und mit diesem Hauptgang kann nun endgültig mit dem Argument der Fleischlobby aufgeräumt werden, dass Währschaftes und Traditionelles Fleisch brauche. Während ich mir das vorzügliche Planted Pork, das hier wohl in einer sämigen BBQ-Bier-Marinade geschmort wurde, schmecken lasse, mache ich mir schonmal gedanklich die Notiz, unbedingt bei der nächsten Gelegenheit bei Planted für meine Privatkochkünste einzukaufen. Zum sauguten Pulled „Pork“ gibts einen sämigen Kartoffelstock, der mein Härdöpfel-Herz sofort höher schlagen lässt. Und dazu der saftige Krautstiel, Heuschaum und Rotweinzwiebeln… So kommen Kindheitserinnerungen auf, und das ganz ohne Fleisch, Käse und Rahm.
Chef's Table im Chreis Cheib
Der krönende Abschluss folgt in wahrer Chef’s Table-Manier – hier hat sich Noah die Idee zum folgenden Kunstwerk auch tatsächlich abgeschaut. Er breitet ein Backpapier auf dem Tisch aus und dann wird fröhlich losgekleckst, wie auch das Titelbild schon zeigt: Guetzli in allen Farben und Formen, Schoggi-«Schlirggen», eingelegte Nektarinen, süsse Glühweinreduktion und Zuckerguss-Spritzer und zwei Kugeln Baumnuss-Hafermilch Glacé. Und dann dürfen wir das ganze Kunstwerk aufessen. Der Mix aus süss und nussig, cremig und knusprig macht dieses Dessert zum Erlebnis für Augen und Gaumen. Das fantastische Glacé spare ich wohlweislich zum Schluss auf – und wenn ich mich daran erinnere, schmecke ich es jetzt noch auf meiner Zunge!
A (Gastro-) Star is Born
Das soviel Gutes eigentlich so einfach ist und ausserdem nicht von weit her kommen oder abermals verarbeitet werden muss, ist wohl allen, die bereits im ANOAH zu Gast waren, klargeworden. Und weil das Pop-up auch für seine letzten vier Wochen vollständig ausgebucht ist, kommen noch viele mehr in diesen Genuss. Dann ist leider erstmals Schluss, weil Noah im neuen Jahr anderen Pflichten nachgehen muss: Das Militär wartet. Für die Zeit danach schmiedet er jedoch bereits kulinarische Pläne und verrät uns, dass wir vielleicht schon nächsten Herbst mehr von ihm probieren dürfen. Sehr gerne mehr davon, Noah!